de gb

CARMEN

VENZAGO  -  MÄRKI  -  FÜRHOFER

Inszenierung

CARMEN

GEORGES BIZET

EINE OPERNPRODUKTION VON

Carmen in Stephan Märkis Lesart ist eine Frau, die Sex als Machtinstrument in einer lebenshungrigen Welt inszeniert, in der Verführung Stärke bedeutet und Hingabe den Untergang. Carmens Todessehnsucht verkörpert ein Tänzer, ihr einzig wahrer Gegenspieler. Der Dirigent Mario Venzago greift die Carmen-Forschung Fritz Oesers auf, der Bizets ursprüngliche Orchestrierung wiederherstellt und dadurch dem Stück jene Tiefe zurückgibt, die die allseits bekannten Gassenhauer mit neuem Leben füllt. Philipp Fürhofers Bühne und Kostüme stellen die Figuren in ein mise en abyme-Spiegelkabinett ihrer eigenen Abgründe.

Stephan Märki inszeniert „Carmen“ als Seelendrama, er zeigt eine Frauenfigur, die jenseits aller Klischees und spanischer Folklore komplex und widersprüchlich agiert, einem inneren Drang folgend, der sie am Ende dorthin führt, wohin sie schon zu Beginn der Oper steht: in den Abgrund, in den Tod.

Stephan Märki :„In unserer Lesart sucht Carmen hoffnungslos die wahre Liebe, die sie nur als Begierde, als Ware oder Tauschgeschäft, oder im kurzen Kitzel des Verliebtseins kennengelernt hat. ‚Les amours de Carmen ne durent pas six mois’ (‚Carmens Liebschaften dauern keine sechs Monate’) singt der Torero Escamillo, der ihr letzter Liebhaber hätte werden können. Sie hat in ihrem kurzen Leben so ziemlich alles erlebt - und ist doch nie satt geworden, immer auf der Flucht, eine Suchende, eine an beiden Enden brennende Kerze. Ihr fehlt die Fähigkeit zur Empathie, sie erobert wie ein weiblicher Don Juan, ohne sich je wirklich einzulassen. Eine narzisstische Frau, die nur ihr Spiegelbild liebt. Sie will frei sein.“

Zu Beginn der Oper will Carmen in Stephan Märkis Deutung in den Tod springen. Die charismatische Mezzosopranistin Claude Eichenberger singt und agiert mit einer Intensität, die jede Regung ihrer Frauenfigur von Anfang an klar macht. Im letzten Augenblick weicht sie noch einmal zurück. Fortan folgt ihr als Alter Ego wie ein Schatten der „Joker“, eine enigmatische Figur. Der Tänzer Winston Ricardo Arnon aus Surinam, ein Kraftpaket an Ausdruck und Witz, stellt ihn in pantomimischer Zuspitzung dar; er verkörpert Carmens Todessehnsucht –  nur für sie und die Zuschauer wahrnehmbar. Ein Demiurg des Bühnengeschehens ist er zudem, der Auftritte und Abgänge begleitet und wie ein Marionettenspieler im Hintergrund die Fäden zieht. Carmen, die seinen Kuss im Vorspiel der Oper noch verweigert, wird sich ihm am Ende hingeben. Der Tod umfängt sie in einer anrührenden Pietà-Geste.

Zwischen Beginn und Ende durchläuft Märkis Carmen „wie ein Mensch im Angesicht des Todes, im Schnelldurchlauf sozusagen, exemplarische Muster ihres Lebens, in prototypischer Zuspitzung.“ Sie trifft Don José und Escamillo, zwei Männer, die gegensätzlicher nicht sein könnten: Don José, der sie am Ende aus Eifersucht tötet (oder begeht Carmen dabei Selbstmord? – Märkis Lesart lässt beide Deutungen zu) ist ein hoffnungslos Liebender, der sich just jene Frau in den Kopf gesetzt hat, die er nie wird haben können. Der spanische Tenor Xavier Moreno verkörpert die Figur in allen Facetten: Er wirft sich Carmen in den Schoß, als sei sie gleichzeitig eine Mutter, sie ist die Göttin, zu der er aufblickt und der er sich unterwirft, in Liebesraserei und voller Qual. Escamillo – der Bariton Jordan Shanahan zeigt ihn als Siegertypen – tritt auf wie ein Popstar, wirft mit Geld und Handküssen nur so um sich, und zeigt doch, in den wenigen Begegnungen mit Carmen, eine männliche Zärtlichkeit, die anrührt. Er wäre Carmen ebenbürtig. Auch sind beide, Märki zeigt das mithilfe des Jokers, der zum Stier mutiert, im Innern durch das Todesthema verbunden.

Auf der Bühne entfaltet sich ein atemberaubendes Kammerspiel. Märkis Figuren sind singende Darsteller in einem archetypischen Drama; keine Operngeste zerstört die Wahrhaftigkeit der Empfindung. Hinzu kommt, daß Märkis zweite Frauenfigur, Micaëla, gesungen von der hinreißenden Sopranistin Elissa Huber, eine Carmen wahrhaft ebenbürtige Frauengestalt ist, kein verhuschtes Landei, sondern eine Frau, die um Don José mit allen Mitteln kämpft und das Spiel der Carmen sehr schnell durchschaut. Beider Begegnung kulminiert in einem leidenschaftlichen Kuss, mit dem Carmen sich auch Micaëla unterwerfen will, die aber nichts von ihrem Stolz und ihrer Stärke einbüßt. Carmen und Micaëla sind die helle und die dunkle Seite des Frauseins in Märkis Deutung, der keinen Zweifel daran lässt, wer die wahrhaft Liebende ist in diesem Bühnendrama der fatalen Begegnungen.

Indem der Regisseur Schicht um Schicht der Carmen-Figur und aller anderen Protagonisten abträgt und die Motive ihres Handelns, ihre Charaktere freilegt, dringt er in ihr Inneres vor, zeigt, was so faszinierend ist an dieser spektakulären Oper, deren Gassenhauer oft genug im Folklorekitsch untergehen. Eine Versuchsanordnung der Liebeskonstellationen, wie sie moderner und zugleich archetypischer nicht sein könnte. Märki greift in der Personenführung auf Prosper Mérimées Novelle zurück, die die Figuren deutlicher umreißt als Henri Meilhacs und Ludovic Meilhacs Libretto, das auf ihr basiert.  

Mario Venzago hat die Partitur nach der Urfassung der Carmen eingerichtet, Fritz Oesers Forschung folgend. Märki und er streichen die Rezitative und Dialoge, ihre Deutung verdichtet die Oper auf das Wesentliche. Carmens berühmter Verführungssong „L’amour est enfant de Bohème, il n’a jamais jamais connu de loi“ (‚Die Liebe nach Zigeunerart kennt kein Gesetz’) hat in Bizets erster Fassung einen gnadenlosen Schlusspunkt: „Si tu ne m’aimes pas, je t’aime (‚wenn Du mich nicht liebst, lieb ich Dich’), mais si je t’aime, tant pis pour toi“ (‚aber wenn ich Dich liebe, schade um Dich’). Das Verderben ist vorprogrammiert in Bizets erster Fassung der Oper, in der die Habanera auch musikalisch noch stärker zugespitzt ist als in der 2. dichter orchestrierten Fassung, wo das Ende offen bleibt: „mais si je t’aime, prends garde à toi“ (‚aber wenn ich Dich liebe, nimm Dich in Acht’).

Märki und Venzago stellen Fragen, die den Zuschauer als aktiv Mitdenkenden, Mitfühlenden fordern: Ist Carmen eine mutige Frau, die ihre Freiheit verteidigt und lieber in den Tod geht als sich dem männlichen Begehren, das sie einsperren will, zu ergeben? Sie zeigen musikalisch und in den Bildern, die sich dem Zuschauer einbrennen, Carmens Verletzlichkeit, die sie stärker fürchtet als den Tod. Märki bringt psychologische Gründe dafür ins Spiel. Der Chor der Gassenjungs wird in seiner Inszenierung zum Erinnerungsspiel: Statt Knaben tritt hier eine Phalanx kleiner Schönheitsprinzessinnen auf, wie Carmen wohl einst eine gewesen ist, ein kleines Mädchen, das früh gelernt hat, zu gefallen, sich im Wettbewerb mit anderen zu messen – und zu gewinnen. Carmen muss als Siegerin aus allen Gefühlshändeln hervorgehen, sie muss diejenige sein, die die anderen das Fürchten lehrt.

Daß Eros auch sehr heiter sein kann, zeigt das hinreißende Quintett der Schmuggler im 3. Akt (mit Lillian Farahani, Eleonora Vacchi, Andries Cloete und Nazariy Sadivskyy als Räuberbande): charmant und frech und sehr erotisch buhlen die Schmuggler um Carmens Gunst.

Philipp Fürhofers Bühnenbild schafft den Raum, in dem sich die Vielschichtigkeit der Personenregie und der schnellen Wechsel von solistischen Szenen und Chorszenen entfalten kann: Das Grundprinzip ist der raumfüllende Spiegel, als wollten uns der Regisseur und der Bühnenkünstler sagen: Carmen und Don José, das sind wir alle. Folgerichtig greift sich Carmen einen Zuschauer heraus, dem sie die „Zauberblume“ alias ihren roten Handschuh überreicht. Der Todesjoker leitet auch hier spielerisch ihre Hand. Sehr erstaunt erhebt sich Don José, blickt sich um, als sei er nicht ganz sicher, wirklich gemeint zu sein – und dann folgt er Carmen auf die Bühne, mitten hinein ins Verderben. BETTINA EHRHARDT

#

Mitwirkende

Solisten

Regieteam

Film

Film Director’s Note

Ein Opernabend, der nachwirkt: So eine „Carmen“ hatte ich noch nie gesehen. Wie Stephan Märki vom Vorspiel bis zum Finale einen Bogen spannt und darin die Geschichte einer Frau erzählt, die verführt, weil sie nicht lieben kann, das ist psychoanalytisch schlüssig und zeigt uns die populäre Carmen-Gestalt in neuem Licht. Daß Märki dabei auf den antiken Narziss-Mythos zurückgreift, unterstreicht die Modernität seiner Deutung. So sind wir, wir Menschen, rufen er und seine Mitstreiter, Dirigent Mario Venzago und Ausstatter Philipp Fürhofer, uns zu, fürchten uns vor dem, was wir am meisten ersehnen. Carmens Pein, als Don José ihr seine Liebe gesteht, ihre eiskalte Reaktion „non, tu ne m’aimes pas“, mit der sie nicht nur seine Liebe zurückweist, sondern auch ihre eigenen inneren Schranken befestigt, die – das zeigt uns Märki – einen kurzen Augenblick lang ins Schwanken gerieten, das ist so klar inszeniert, daß Claude Eichenbergers Mimik und Gestik in jeder Nuance mit Sinn und Leben gefüllt ist. Die Leidenschaft aller Akteure, Carmen, Micaëla, Don José, Escamillo und die Schmugglerbande, und ihre fesselnde Musikalität ergreifen die Zuschauer. 

Der Wunsch, diese Oper in Stephan Märkis Deutung aufzuzeichnen, war deshalb sofort da. Denn seine präzise Lesart erschließt sich besonders durch das vergrößernde Auge der Kamera. Die 4. Wand fällt weg, der Bühnenraum setzt sich fort in den Zuschauerraum: oben in den Rängen sitzt der Männerchor, ist Teil des Publikums, und auch Don José ist zunächst ein schlichter Operngänger. Philipp Fürhofers raumhohe Spiegelwand zieht die Zuschauer ins Bühnengeschehen hinein. Ebenso wie den Dirigenten, dessen Spiegelung zu Beginn der Oper und als letzte Einstellung zu sehen ist. 

Die Musik ist die eigentliche Spielleiterin, Dirigent und Regisseur haben unter Rückgriff auf Bizets erste Fassung das Stück so eingerichtet, daß nichts die wesentlichen Züge der musikalischen Handlung unterbricht. Kameraführung und Schnitttechnik stehen vollkommen im Dienst der Musikalität von Stephan Märkis Inszenierung.

#

Eine Produktion von

Gefördert von der

FILMTEAM

FilmTeam

 

 

KAMERA

Hans-Toni Aschwanden

Hans Albrecht Lusznat (BVK)

Anna Crotti

Daniel Humbel                 

Renate Giess                    

Dominik Rupf                   

Christian Schläpfer         

Patrick Bürge   

 

MUSIKAUFNAHME & MISCHUNG

Gerald Hahnefeld

 

SCHNITT

Monika Abspacher

                 

KAMERATECHNIK

Mirco Röther

Alex Huber

René Graber

 

TONAUFNAHMETECHNIK

Daniel Meyer

David Oberli

 

HELFER

Jan Schoch

Philippe Kämpfer

       

AUFNAHMELEITUNG

Daniel Schaller

 

ONLINE & FARBKORREKTUR

Michael Hermann

Michael Radeck

 

PRODUKTIONSLEITUNG

Hans-Toni Aschwanden

 

VIDEOREGIE

Bettina Ehrhardt

Trailer

trailer.jpg

»Carmen ist endlich von der Bühne hinabgestiegen,
um in den Straßen spazieren zu gehen,
von der Macho-Gesellschaft befreit,
die sie hervorbrachte.
Heutzutage sind die Straßen voll von Carmens –
weil Carmen nicht mehr nur Spanierin ist.«

Lourdes Morgades

© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie
© Tanja Dorendorf T+T Fotografie

»Und so sind wir uns doppelt fremd,
denn zwischen uns steht nicht nur
die trügerische Außenwelt, sondern auch
das Trugbild, das von ihr
in jeder Innenwelt entsteht.«

Pascal Mercier